"Der traut sich ja manche Sachen auch nicht!"
Der blinde Bergsteiger Andy Holzer über das Nicht Perfekte und Rekorde, über Schmarrn und das Glück von Morgen
Andy Holzer ist ein österreichischer Profibergsteiger - das Außergewöhnliche: Er ist von Geburt an blind. Trotzdem hat er unter anderem den Mount Everest bestiegen. Mit seinen Vorträgen über die „Berge dieser Welt“ will er „den Sehenden die Augen öffnen". Zu erleben ist Holzer mit seiner Benefiz-Multivisions-Show am Freitag, 28. Februar, um 19.30 Uhr in der Stadthalle Germering.
Der Eintritt beträgt 23,50 Euro. Karten gibt es beim SW Kartenservice, Tel. (089) 8949015, bei allen MünchenTicket-VVK-Stellen und an der Abendkasse.
Die Einnahmen kommen vollständig dem Lions-Projekt „Lichtblicke für Kinder“ zugute, eine internationale Aktion, die Kindern mit Augenkrankheiten in Afrika hilft. Das Projekt unterstützt den Aufbau von Augenkliniken vor Ort.
Über seine Erfahrungen sprach Andy Holzer mit Johannes Beetz.
„Ich will keine Rekorde brechen“
Wann haben Sie mit dem Bergsteigen angefangen?
Andy Holzer: Ich bin in einem kleinen Dorf in den Dolomiten mit 300 Einwohnern aufgewachsen und bin ohne Augenlicht zur Welt gekommen. Von Bergsteigen war da keine Rede. Die Leute sagten damals, das wird nichts, das Kind muss ins Heim. Erst mit 23 habe ich mit dem Klettern angefangen; da wurde mir bewusst, dass es spannend sein könnte. Meine Freunde mussten immer nur aus dem Fenster schauen, um die Dolomiten im Alpenglühen und in den fantastischen Violettfärbungen zu sehen. Ich konnte nichts sehen und wusste, wenn ich das auch erleben will, dann muss ich dort hochsteigen.
Ich habe erkannt, dass die ausgetretenen Pfade anstrengend sind, dass mir der Klotz am Wegrand aber über meine Finger Informationen gibt, was sich um mich herum befindet. Da bin ich einfach hochgestiegen. Meine Eltern haben jahrelang gebraucht, um zu verstehen, dass das für mich Orientierung in der Welt bedeutet. Ich will beim Klettern keine Rekorde brechen. Ich mache das, um die Berge wahrnehmen zu können. Einen Berg zu begreifen, bedeutet, ihn von allen Seiten zu besteigen, über alle Kanten und Grate. So kann ich ein dreidimensionales Bild in meinen Kopf projizieren.
„Das bringt niemandem etwas“
Sie haben es geschafft, die „Seven Summits“ - die jeweils höchsten Berge aller Kontinente - zu besteigen. Mehr geht nicht. Bleiben einem Bergsteiger da noch erstrebenswerte Ziele für die Zukunft?
Andy Holzer: Jedes Jahr mache ich etwa 200 Bergtouren – seit 30 Jahren. Unter diesen 200 mal 30 Touren waren zufällig die Seven Summits dabei. Diese sieben sind ja nicht deswegen interessant, weil sie die höchsten Gipfel sind, sondern weil sie mir die Möglichkeit gaben, die Welt zu erfahren. Ich konnte Kontinente bereisen, Menschen kennenlernen, Gerüche riechen. Ich wollte wissen, was in Afrika anders ist als in Nepal, was in West-Papua anders riecht als in Südamerika. Erst beim dritten Summit wurde mir überhaupt bewusst, dass es diese sieben Summits gibt. Ich will nicht immer eins draufsetzen, sondern nehme bewusst Routen, die mir mit meiner Einschränkung möglich und für mein Freunde logistisch einfach sind. Immer wieder diese verdammte Spitzenleistung bringen zu wollen, ist ein Schmarrn. Das bringt niemandem etwas. Das motiviert keinen.
Bei meinen Vorträgen haue ich auf der Bühne nicht eine Story nach der anderen heraus, um dem Publikum zu zeigen, dass da einer besser oder gar ein Held ist. Ich möchte auf der Bühne nicht meine Geschichte erzählen, sondern die der Zuhörer. Natürlich ist meine Geschichte dabei ein Werkzeug, aber die Zuhörer erkennen nach zehn Minuten sich und ihre eigene Welt. Sie sehen: Der Holzer hat ja auch Schwächen, der traut sich ja manche Sachen auch nicht. Am Ende sagen sie: So könnte ich auch sein. Das ist meine Art zu leben.
„Unsere Welt ist nicht für die Perfektion gemacht“
Sie haben geschrieben, dass „der Everest vielleicht gar nicht in Asien steht, sondern jeder von uns so einen Everest in sich trägt und diesen nach seinen Möglichkeiten angehen sollte.“ Das ist gar nicht so einfach. Eine Herausforderung angehen, heißt ja auch, möglicherweise auf die Nase zu fallen.
Andy Holzer: Scheitern gehört zu deiner Geschichte. Unsere Welt ist nicht für die Perfektion gemacht. Gott hat uns nicht hingestellt, um alles perfekt zu machen, das habe ich gelernt. Wir sind noch nicht im Paradies. Es ging uns aber noch nie so gut, wir hatten noch nie so viele Möglichkeiten, wir haben alles. Und zugleich wurde noch nie so viel gejammert.
Wie gehe ich also mit meinen Fehlern um? Menschen, die dem Rekord hinterherlaufen, werden sicher verlieren. Sie werden das Rennen nicht gewinnen. Die Anderen sind es! Ich kenne niemanden ohne eine Schwäche.
Eine Schwäche wie meine Blindheit kann man auf zweierlei Arten annehmen. Man kann so damit umgehen, wie sich dies die Gesellschaft zurechtgelegt hat: Ein Blinder trägt eine schwarze Augenklappe und wartet auf die monatliche Beihilfe. Viele Blinde leben so, aber auch viele Sehende, die symbolisch blind sind und darauf warten, beglückt zu werden. Das kann man so machen, darf sich dann aber nicht beklagen, dass man in der Ecke sitzt.
Die zweite Möglichkeit ist: Ich habe aus meiner Blindheit ein Businesskozept generiert. Mein bergsteigerisches Können ist zu gering fürs Geschäft, also habe ich beinhart meine größte Schwäche benutzt und plötzlich verdiene ich Geld damit. Der Blindheit ist es völlig egal, was du mit ihr machst! Aber meine Lebensqualität ist eine ganz andere geworden.
Fehler zu haben und zu machen ist salonfähig und cool, wenn man sie kultiviert, anstatt sie anderen in die Schuhe zu schieben. Jeder Fehler ist eine Sprosse auf der Leiter, wenn man ihn richtig einbaut.
„Dort liegt das Glück für morgen“
Wer auf dem Gipfel steht, für den gibt es nur eine Richtung zum Weitergehen: nach unten. Gesellschaftlich stehen wir ja auch auf einer Art Gipfel. Noch nie - Sie haben es gerade gesagt - war die Lebensqualität für die meisten von uns so gut wie gegenwärtig. Aber wir freuen uns oft gar nicht darüber, sondern haben immer mehr Angst vor dem Abstieg. Wie bewahren Sie sich die Freude über das Erreichte auf einem anstrengenden - und sicher auch gefährlichen - Weg zurück?
Andy Holzer: Es geht um die Momente, in denen man sich freut. Wir stehen wirklich ganz oben. Es kann also nur abwärts gehen. Für viele Dinge ist die Notwendigkeit abhanden gekommen. Es geht zumindest in der westlichen Hemisphäre um nichts mehr wirklich Wichtiges. Wenn ich bei großen Managern rede, dann geht es diesen oft nur noch um die Frage, ob sie 12 oder 15 Millionen verdienen, aber nicht mehr um existentielle Fragen wie das Essen für ihre Kinder.
Mein Lebensziel ist nicht der nächste Berg und nicht das „Noch höher“, sondern ich möchte kindliche Neugier und Leichtfüßigkeit behalten. Bewahrt das Kind in euch! Darum geht es doch.
Wir bewerten nur das, was wir sehen. Aber manches realisieren wir momentan noch gar nicht, und das ist eine Chance: Was jetzt noch nicht sichtbar ist, dort liegt das Glück für morgen, nicht im Scheinwerferlicht. Verzweifeln wir doch nicht, nur weil wir es noch nicht sehen!
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