"Literatur kennt keine Ausgangsbeschränkungen"
Katrin Schmidt von der Buchhandlung Lesezeichen gibt Lesetipps für die Oster- und Corona-Zeit
„Geistige Nahrung ist angesichts der momentanen Einschränkungen besonders wichtig. Deshalb kann ich jedem gute Bücher nur ans Herz legen", sagt Kunstminister Bernd Sibler und empfiehlt, sich mit Buchbestellungen aus lokalen Buchhandlungen eine Freude zu machen. "Literatur kennt keine Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote. Sie entführt uns an fremde Orte, erschließt unbekannte Welten und lädt uns ein, mit ihren Heldinnen und Helden spannende Abenteuer zu erleben", so der Minister. "Beschenken Sie sich und Ihre Lieben zu Ostern mit Büchern!“ Katrin Schmidt von der Buchhandlung Lesezeichen in Germering kann für jede Altersgruppe und jede Vorlieben wunderschönen Lesestoff empfehlen. Im Gespräch mit dem Germeringer Werbe-Spiegel gibt sie ihre Tipps.
"Nachfrage nach Klassikern ist gestiegen"
In Bayern gibt’s das Sprichwort „Selten ein Schaden ohne Nutzen.“ Nun glaube ich, dass gerade leidenschaftliche Buchhändler heute einmal mehr sozusagen als Guides durch die schwierige Zeit voller Herausforderungen gefragt sind. Wir haben augenblicklich möglicherweise zum ersten Mal seit langem wieder Zeit, auch Zeit, um mal endlich wieder ein Buch zu lesen. Und Sie bieten ja quasi kontaktlose Beratung an – merken Sie schon was von den durch Corona geänderten Vorzeichen? Spüren Sie den Zug zum Buch schon ein wenig?
Katrin Schmidt: Das ist recht unterschiedlich. Menschen, die auch vorher schon gern und viel gelesen haben, decken sich jetzt tatsächlich noch intensiver mit Lektüre ein. Kinder- und Jugendbücher verkaufen wir zur Zeit aber tatsächlich sehr viel weniger. Von einer Freundin (selber Buchhändlerin), die zwei Leseratten als Töchter hat, weiß ich, dass das Home Schooling die Kinder sehr in Anspruch nimmt. Auch ihre Kinder haben in ihrer Freizeit momentan weniger Lust zu lesen, weil sie der vormittag am PC mehr beansprucht als der normale Schulunterricht.
Die Nachfrage nach Klassikern ist definitiv gestiegen. Gesunken ist aber bei unseren Kunden der Bedarf an politischen oder zeitgeschichtlichen Titeln. Auch Krimis werden deutlich weniger nachgefragt.
Ich denke, so richtig wird sich der „Trend zum Buch“ erst zeigen, wenn sich die Menschen mit den neuen Verhältnissen arrangiert haben, sofern das überhaupt möglich ist. Und ich bin gespannt, ob er in den Osterferien, wenn das „HomeSchooling“ wegfällt, auch wieder mehr Kinderbücher nachgefragt werden.
"Man ist mit der Situation nicht allein"
Erich Kästner hat uns den wunderbaren Spruch „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ hinterlassen. Wenn ich Ihre Botschaft „Damit Germering lesenswert bleibt“ betrachte und die Korrelation zu „lebenswert“ herstelle, verbunden mit dem originellen Ansatz eines Life-Video-Chats, spüre ich dahinter auch die Botschaft an andere Geschäftsleute und Unternehmer, doch auch was im wahrsten Sinne des Wortes zu unternehmen, um all den Mitbürgern zu zeigen: „Hey, wir leben noch“. Was können andere Germeringer Einrichtungen und Geschäfte oder die Germeringer Lieblingsläden tun, um ähnliche Signale zu geben, damit da wieder ein richtiges Orchester daraus wird?
Katrin Schmidt: Gerade den inhabergeführten Einzelhandel zeichnet ja seine Individualität aus. Jedes Geschäft
funktioniert anders. Ich denke aber, dass Sichtbarkeit und Präsenz jetzt am allerwichtigsten sind. Deswegen möchte ich jeden ermuntern, seine Social-Media- und Online-Aktivitäten (Instagram, Facebook, Google My Business) zu intensivieren oder die Zeit jetzt dafür zu nützen, damit anzufangen. Wir haben jetzt angefangen, einminütige Videos mit Buchbesprechungen online zu schalten – das wollten wir schon lange, haben aber nie Zeit dafür gefunden.
Aber nicht alle Kunden erreicht man so! Wir haben schnell festgestellt, dass auch Printwerbung unabdingbar ist. Dadurch, dass wir alle nur zwei Tage Zeit hatten, um uns auf den Shut Down vorzubereiten, fehlte die Möglichkeit all unsren Kunden zu sagen: „WIR SIND WEITER DA“ – die Türen der Geschäfte sind geschlossen, aber wir sind da!
Da ist Werbung in den Printmedien, aber auch klassisch auf Flyern, eine gute Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen.
Ansonsten finde ich Zusammenhalt und Austausch unter den Einzelhändlern wichtig. Jeder hat eigene und kreative Ideen, seine Kunden zu erreichen. Im Gespräch miteinander kann man sich prima Tipps geben oder Ideen für das eigene Geschäft bekommen. Und man spürt, dass man mit der Situation nicht allein ist. Das ist sehr viel wert!
"Das sollte man auf keinen Fall verpassen"
Für Familien mit Kindern ist es sicherlich nicht ganz einfach, eine solche Zeit mit derartigen Einschränkungen gut zu gestalten. Andersherum könnte man die durch diese Art Zwangspause entstandene Zeit auch als Chance verstehen ... und schon überwiegen nicht deren pejorative Aspekte, sondern man kann dem Ganzen auch was Positives abgewinnen. Können Sie Eltern vielleicht ad hoc ein paar Bücher – für die verschiedenen Altersgruppen – empfehlen, die man eigentlich gelesen haben sollte, aber für die vielleicht bis dato zu wenig Zeit war?
Katrin Schmidt: Zum Vorlesen: ich staune immer wieder, wieviele Familien weder „Madita“ oder „Ferien auf Saltkrokan“ von Astrid Lindgren kennen. Beides kann man toll ab 5 Jahren vorlesen und das macht auch Eltern Spaß, versprochen!
Ab 8 Jahren die „Luftpiraten“ von Markus Orths. Ein ganz neues Buch, welches man aber auf keinen Fall verpassen sollte!
Ab 10 Jahren unbedingt „Das Winterhaus“ von Ben Guterson – eine Mischung aus Krimi und Internatsgeschichte mit vielen Rätseln und Codes.
Und ab 12 würde ich tatsächlich ein Sachbuch empfehlen: von Gombrich „Eine Weltgeschichte für junge Leser“, seit Jahrzehnten ein Klassiker. Schon ich hab es in meiner Kindheit „gefressen“. Hier wird sehr kurzweilig und altersgerecht die Weltgeschichte erzählt – als Hörbuch was für die ganze Familie.
"Nicht vergessen, wie priviligiert wir sind"
Augenblicklich gibt es sehr viele, sehr beeindruckende Zeichen toller Solidarität. Es entstehen ganz neue Beziehungen oder neue Beziehungsqualitäten trotz oder wegen Ängsten, dem Vermissen von Nähe … im Haus zwischen Jung und Alt, in Unternehmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zwischen Vermieter und Mieter. Irgendwann wird auch die „Corona-Zeit“ vorbei sein. Wie wahrscheinlich ist es, dass wir von diesen positiven Aspekten was mit hinüberretten in die dann wieder „normalere“ Zeit?
Katrin Schmidt: Ich hoffe, dass wir davon etwas hinüberretten und nicht vergessen, WIE priviligiert wir eigentlich sind. Wir haben Strom, fließend Wasser, Leben in einem demokratischen Land und wir haben ein gutes Gesundheitssystem. Viele Dinge, auf die andere Menschen in der aktuellen Situation leider nicht zurückgreifen können. Ich möchte damit die aktuellen Einschränkungen auf keinen Fall klein reden – aber ich hoffe, dass der Zusammenhalt bleibt. Auch die netten Worte, die man plötzlich auch mit fremden Menschen wechselt, die man mit Abstand, beim Einkaufen oder am Gartenzaun trifft. Die Empathie für die Situation der anderen – ich wünsche mir, dass wir die mit ins „danach“ retten.
"Das war einiges!"
Was, wer, welche Aktion hat Sie persönlich am meisten beeindruckt in den letzten Tagen?
Katrin Schmidt: Oh, das war einiges: Die Einkaufsservices der der Mitglieder der Fussballvereins SV Germering, oder der Einkaufsservice der LEOs für ältere Menschen. Und natürlich unser eigenes Projekt www.wirsindgermering.de, im Wirtschaftsverband Germering. Dank des ehrenamtlichen Einsatzes eines Vorstandsmitgliedes konnten wir innerhalb von ein paar Tagen diese Plattform online Schalten. Hier können alle Germeringer Betriebe kostenlos ihre Corona Sonderservices, Lieferdienste und Sonderöffnungszeiten hochladen – und Bürger diese auf einen Blick finden.
Was lesen „Oma und Opa“ gerne?
Für viele von uns ist es nicht nur ungewohnt, sondern möglicherweise richtig belastend, während der bevorstehenden Ostertage eben gerade nicht, wie's ja gute Tradition ist, die Eltern oder eben Opa und Oma zu besuchen oder einzuladen. Umgedreht ist das sicherlich ebenso … auch Eltern und Opa und Oma werden die sog. „Jungen“ vermissen. Mit einem Buch(geschenk) zu Ostern, über das man nach einigen Tagen am Telefon mal ratschen könnte, könnte man vielleicht auch ein Zeichen von Nähe setzen. Können Sie uns ein paar Bücher speziell für „Opa und Oma“ empfehlen?
Katrin Schmidt: Oh, das kommt drauf an, was „Oma und Opa“ gerne lesen. Die Geschichte von Daisy von Pless,
einer englischen Fürstin, die Ende des 19. Jhrd. an einen deutschen Grafen verheiratet wurde und sich nicht so ganz an damalige Konventionen hielt, fand ich wahnsinnig interessant. Und meine Kollegin Helen Hoff würde jetzt sicher die schwedischen Krimis „1793“ und „1794“ von Niklas Natt och Dag empfehlen. Sie spielen im historischen Stockholm und erinnern zeitweise an den Klassiker „Das Parfüm“ – sind aber nicht ganz so verstörend, sondern sehr intelligente Krimiunterhaltung. Wenn „Oma“ aber gerne gartelt – was bei dem Wetter gerade dazu einlädt, dann würde ich ihr „Bin im Garten“ der Journalistin Meike Winnemuth empfehlen. Kein Gartenratgeber, sondern eine Art Tagebuch über das wachsen und scheitern im eigenen Garten. Schön bebildert und viel Wiedererkennungseffekt, wenn man selbst gern im Garten gräbt.
"Eine „eckige“ Alternative fürs Nest"
Trotz Corona haben wir letzten Mittwoch einen Aprilscherz als Titelstory publiziert, weil wir unsere Leser zumindest mal zum Schmunzeln bringen wollten – inmitten der vielen Corona-Sondersendungen z.B. im Fernsehen. Haben Sie ein paar Buchempfehlungen, mit denen ein solcher Schmunzel-Effekt ebenfalls gelingen könnte?
Katrin Schmidt: Humor ist ja was sehr individuelles – aber sehr lustig finde ich „Mami braucht `nen Drink“ - Tagebuch einer erschöpften Mutter“ von Gill Sims. Der Titel ist Programm – das Buch enthält eine gehörige Portion britischen Humor, lebt von seiner Situationskomik und ist daher sehr kurzweilig. Aber auch „Der Pfau“ von Isabel Bogdan empehle ich sehr gerne, wenn intelligente Unterhaltung gefragt ist. Wer gern bei einem Krimi schmunzelt, sollte zu der „Kühn“-Reihe von Jan Weiler greifen. Die in München spielenden Krimis sind fast schon Satire. Übrigens auch als Hörbuch genial vom Autor selbst gelesen. Und wo wir gerade beim Hörbuch sind – die Buchvorlage zu den Känguru Chroniken, die gerade im Kino laufen, sind vor allem als Hörbuch eine tolle „eckige“ Alternative fürs Nest. Da lacht eigentlich jeder zwischen 15 und 50 Jahren.
Kinder, wünscht Euch Bücher!
Diamonds are a girl's best friend? Nein, auch da irrte Marilyn Monroe (für die jüngeren Leser: Frau Monroe war Schauspielerin und sang ein Lied mit diesem Titel) ganz gewaltig. Bücher sind viel verlässlichere Freunde – für Mädchen und Jungs. Bücher schenken wunderschöne Geschichten und lassen Bilder im Kopf entstehen, die nie wieder verblassen. An ein gutes Buch und seine Geschichte erinnert man sich sein Leben lang. Da gibt es Klassiker wie Robinson Crusoe oder Onkel Toms Hütte, die Generationen von Lesern begeistert und berührt haben. Das verbindet die Odyssee mit den Büchern von Astrid Lindgren bis Cornelia Funke, die Kleine Hexe mit Tom Sawyer, Ritter Trenk mit Jim Hawkins aus der Schatzinsel: Als Leser erleben wir ihre Abenteuer an ihrer Seite mit, bestehen mit ihnen ihre Ängste und Gefahren und teilen ihre Triumphe (und Schätze).
Wir rufen Kinder auf: Wünscht Euch Bücher für Euch selber oder als Ostergeschenk für Euere Großeltern. Dank der großzügigen Unterstützung einer echten Leseratte erfüllen wir 200 von diesen Bücherwünschen.
Kinder können ihre Bücherwünsche in ihren Osterferien schicken an:
Wochenanzeiger Medien GmbH, „Bücherwunsch“, Fürstenrieder Str. 5-9, 80687 München
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