Als die Amerikaner kamen
So erlebte Starnberg die "Stunde Null" vor 75 Jahren
Der Krieg war in Starnberg am 30. April 1945 aus. An diesem Montag herrschte eine angespannte Erwartung in der Stadt. In der Nacht zuvor hatte sich die SS aus dem Staub gemacht. Endlich, gegen 15 Uhr, war es soweit: Die ersten US-Jeeps rollten als Vorhut über die Hanfelder Straße zur Ortsmitte. Sie waren von der Bevölkerung schon erwartet worden, die zahlreich am Tutzinger-Hof-Platz versammelt war.
Weiße Fahnen aus den Fenstern
Als die Wagen anhalten, werden überall weiße Betttücher zum Zeichen der kampflosen Übergabe aus den Fenstern gehängt. Mädchen überreichen den Soldaten Blumen. Die Bürger halten respektvoll Abstand zu den offenen Wagen. Schließlich fassen sich Berthold Spangenberg und Professor Goldaté ein Herz und nähern sich dem obersten US-Offizier. Die beiden erklärten Gegner des NS-Regimes, die in den ersten provisorischen und demokratischen Stadtverwaltungen noch große Rollen spielen sollten, zählen zu den wenigen, die sich auf Englisch verständigen können. Ein GI beseitigt mit einem Spaten an einer Bäckerei das Straßenschild „Adolf-Hitler-Straße“, die schon bald wieder ihren Namen „Hauptstraße“ zurückbekommen wird. Zwei Stunden später sind auch die amerikanischen Panzer da.
Soweit die Erinnerungen des Augenzeugen Berthold Spangenberg, die im Band „Politische Geschichte“ der 2019 herausgegebenen „Starnberger Stadtgeschichte“ zusammengefasst sind.
Anders als in vielen anderen Städten ging der Einmarsch der Amerikaner ohne Blutvergießen über die Bühne, ohne Starnberg in Schutt und Asche zu legen. Die letzten Stunden und Tage vor dem Zusammenbruch waren ein Kräftemessen zwischen Linientreuen, die die Stadt laut Führerbefehl verteidigen wollten und Einsichtigeren, die das zu verhindern wussten.
Ein Tag schreibt Geschichte
Dass in den letzten Tagen und Stunden nicht noch erbittert und sinnlos gekämpft wurde, ist vor allem dem damaligen Landrat Max Irlinger zu verdanken, der offiziell die Parole ausgegeben hatte, keinen Widerstand zu leisten. Auch der zur letzten Verteidigungsschlacht rekrutierte Volkssturm blieb daheim und die von oben angeordneten Panzersperren wurden im Schneckentempo errichtet. Hitlerjungen, die noch im letzten Moment zum Kämpfen geschickt werden sollten, wurden stattdessen an den Osterseen versteckt und Waffen und Munition im Wasser versenkt. Selbst mit dem Ende des Krieges vor Augen blieben das todesmutige Aktionen, bei denen man wegen Wehrkraftzersetzung damit rechnen musste, sofort an die Wand gestellt zu werden. Wer zu früh das Bettlaken raushängte, lebte gefährlich: Himmlers „Flaggenbefehl“ vom 2. April 1945 ordnete die Erschießung aller männlichen Bewohner eines Hauses an, das eine weiße Flagge zeigte. Landrat Irlinger hatte sich allerdings mit dem Polizeichef abgesprochen, es nicht soweit kommen zu lassen.
Aber es gab auch bis zum Schluss Verblendete, wie die „Starnberger Stadtgeschichte“ aufgeschrieben hat. So soll eine „Werwolf“-Führerin Bewohner in der Hanfelder Straße veranlasst haben, Kessel mit kochendem Wasser bereitzuhalten, die sie von oben auf die Panzer gießen sollten. Und noch wenige Minuten vor dem Einmarsch der GIs jagten Pioniere der Waffen-SS die Würmbrücke in Percha in die Luft.
Die ersten Wochen unter amerikanischer Besatzung waren schwierig für die Starnberger Bevölkerung. Die Ausgangszeit war nur von 6 Uhr morgens bis 18 Uhr, die Stadt durfte über einen Umkreis von sechs Kilometern hinaus nicht verlassen werden, Menschenansammlungen waren verboten. Die Post ging nicht, der Bahnverkehr war unterbrochen, die Versorgungslage schlecht. Die Brotration belief sich auf 70 Gramm täglich – kaum mehr als eine Semmel.
Copyright: Wochenanzeiger Medien GmbH