Das Kreuz mit den Namen
Straßenbezeichnungen und ihr problematisches Erbe
Mit den Straßennamen ist es so eine Sache. Eine Hauptstraße, eine Bahnhofstraße, eine Schulstraße, wie es sie wohl in jeder Kommune gibt, machen keine Probleme. Anders verhält es sich bei Straßennamen, mit denen eine besondere Persönlichkeit der Stadt geehrt werden soll. Da kann es manch unliebsame Überraschung geben, wenn sich im Lauf der Zeit die Einstellung ändert. So wie jüngst im Fall des nach Ina Seidel benannten Weges, eines Stichwegs zwischen Jahnstraße und Prinzenweg.
Die NS-Vergangenheit der Schriftstellerin war in den vergangenen Jahren immer wieder Anlass für Kritik. Nun wurde im Stadtrat beschlossen, dass der Weg das folgende Zusatzschild bekommen soll: "Deutsche Schriftstellerin (1885-1974), wegen ihres literarischen Wirkens im Nationalsozialismus heute umstritten." Außerdem lassen sich über einen QR-Code weitere Informationen über Seidel abrufen. Ina Seidel, seinerzeit eine der meistgelesenen Schriftstellerinnen, war nach dem Krieg weitgehend vergessen. Sie lebte seit 1934 in Starnberg. Im Dritten Reich gehörte sie aber zu den 88 Schriftstellern, die das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler unterschrieben; von diesem wurde sie 1944 in die „Gottbegnadeten“-Liste aufgenommen. Die Bundesrepublik Deutschland ehrte sie in den 1960er-Jahren mit dem Bundesverdienstkreuz, die Stadt Starnberg ernannte sie 1970 zur Ehrenbürgerin.
Wie damit umgehen
Seidels Sympathiebekundungen für den Nationalsozialismus wurden erst viel später ein Thema. In Deutschland gibt es (noch) viele Ina-Seidel-Wege. Der Stadtrat Starnberg hat sich gegen eine Umbenennung und für ein erklärendes Zusatzschild ausgesprochen. Ina Seidel wurde noch zu Lebzeiten mit einem Straßennamen geehrt. Heutzutage ist das nicht mehr üblich, sondern es erfolgen nur noch posthume Vergaben. In vielen Orten gibt es auch noch eine Hindenburgstraße, um die seit Jahren intensive Debatten mit unterschiedlichem Ergebnis geführt werden. Manchmal erfolgt eine Umbenennung, manchmal wird das Straßenschild (wie etwa in Pöcking) mit einem erklärenden Zusatz versehen, manchmal passiert auch gar nichts. Die Anwohner haben wegen des Aufwands mit der Änderung meistens wenig Lust auf eine neue Adresse, auch das hat sich beim Umgang mit dem problematischen Erbe gezeigt.
Heutzutage wird vermieden, Personen der Zeitgeschichte mit einem Straßenschild zu ehren. Eine Angela-Merkel-Straße wird es also in Starnberg nicht geben. Wenn, dann sollen nur noch besonders verdiente und mit der Kommune verbundene Personen geehrt werden. Prinzipiell entscheidet aber jede Kommune selbst, wie ihre Wege heißen sollen. Wenn eine neue Straße einen Namen braucht, sollen es jedoch in erster Linie geographische Namen sein – Pflanzen oder geographische Besonderheiten. Und der Name soll der Orientierung dienen. Den Uferweg wird man nicht hoch oben am Berg finden.
Erna Sturm
Geographische Bezüge waren beim jüngsten Neubaugebiet Am Wiesengrund jedenfalls nicht gefragt – zu langweilig. Die vier neue Straßen würdigen große Persönlichkeiten wie den Stadtpfarrer Konrad Schreiegg, Ortschronist Hans Beigel, Feuerwehr-Urvater Adalbert Kinzinger und Widerstandskämpferin Johanna Solf. Geehrt werden soll außerdem die langjährige Leiterin des Kindergartens am Hirschanger: Der bislang unbezeichnete Fußweg zwischen Dr.-Sauermann-Weg und Josef-Sigl-Straße soll den Namen Erna Sturm erhalten.
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