Der doppelte Defregger
Pöcking arbeitet die Rolle des Weihbischofs im Krieg auf
Weihbischof Matthias Defregger (1915-1995), war ein in der Gemeinde Pöcking hochangesehener und einer der besten Geistlichen, die man sich vorstellen konnte, keine Frage. Lange Zeit hat er hier gelebt. „Ich habe ihn immer als positiv und charismatisch erlebt“, sagte Bürgermeister Rainer Schnitzler in Erinnerung an seine Ministrantenzeit. Viele, die Defregger kannten, haben ihn ebenso gut im Gedächtnis. Und doch gibt es ein Problem mit dem Weihbischof, dem zu Ehren 1997 sogar eine Straße im Ort benannt worden ist. Ein dunkles Kapitel in Defreggers Lebensgeschichte soll jetzt gründlich aufgearbeitet werden. Dazu lud die Gemeinde zu einem Abend unter der Frage „Wer war Weihbischof Defregger?“. Recherchiert haben das Pöckinger Histoirkerehepaar Marita Krauss und Erich Kasberger.
Erschießung von allen Männern im Dorf
Eigentlich ist die Geschichte nicht neu. Doch die Frage nach Schuld und Verantwortung muss neu bewertet werden. Im kleinen Dorf Filetto in den italienischen Abruzzen waren bei einem Partisanenaufstand im Juni 1944, als die Alliierten schon in Rom standen, zwei deutsche Soldaten ums Leben gekommen. Zur Vergeltung wurde die Erschießung aller Männer zwischen 17 und 69 Jahren – wohlgemerkt lauter unbeteiligte Zivilisten – angeordnet. Wehrmachtsoffizier Matthias Defregger ließ den Befehl ausführen und das Dorf in Brand stecken. Nach dem Krieg machte er eine Karriere in der Kirche. Ende der Sechziger Jahre kam der Fall durch einen Bericht des „Spiegel“ ins Rollen, mehrere Verfahren wurden aber mit Verweis auf „Befehlsnotstand“ eingestellt. Marita Krauss ordnet die Sache ohne Frage als Kriegsverbrechen ein. „Das war eine extrem brutale Repressalie gegen die Zivilbevölkerung“, sagte sie. Sie zeigte sich überzeugt davon, dass Defregger den Befehl nicht so hart hätte umsetzen müssen und wohl keine Repressalien fürchten musste. „Das eigentliche moralische Versagen kommt aber erst nach dem Krieg“, führte die Geschichtsprofessorin aus. Defregger sei sich keiner Schuld bewusst gewesen und habe nie um Verzeihung gebeten, schon gar nicht in Filetto. „Als Kirchenmann hätte man tätige Reue erwarten können.“ Stattdessen habe es geheißen „Klappe zu und nicht mehr darüber reden.“ Die Angehörigen seien mit je 10.000 Mark vom Michaelisbund abgefunden worden.
Versöhnungsgeste der Gemeinde
Die Gemeinde holte nun nach, was der Weihbischof versäumt hat. An Pfingsten fuhr eine Delegation in das winzige Abruzzendorf. Und erlebte tief berührt, dass der Ort bis heute unter dem Trauma leidet. Manche Häuser haben noch die Einschusslöcher, manche nie wieder betreten. Praktisch jeder in dem Dorf hat Verwandte, die damals umgebracht wurden. Die Geste der Versöhnung von Pöckinger Seite hat den „Filettesi“ viel bedeutet.
Nun muss Pöcking klären, wie sie zu ihrem früheren Einwohner steht. Die Frage wird höchst kontrovers diskutiert, wie bei dem Abend mit rund 70 Teilnehmern schon zu sehen war. Mehrere Sprecher wollten auf den verehrten Weihbischof nichts kommen lassen und plädierten dafür, die Dinge nach 75 Jahren endlich ruhen zu lassen. Doch davon wollte Bürgermeister Schnitzler nichts hören. „Es ist wichtig, das aufzuarbeiten.“ Er zeigte sich skeptisch, ob die Wegebenennung weiter aufrechterhalten bleiben könne. „Wir müssen eine Form finden, wie wir an den guten Defregger, aber auch an Filetto erinnern.“ Jeder Mensch habe zwei Seiten, pflichtete ihm der katholische Pfarrer der Gemeinde, Leander Mikschl, bei. „Man kann nie nur eine Seite beurteilen.“
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