Gebeine erzählen Geschichte
Neues Stadtgeschichte-Buch lüftet viele Geheimnisse
Kommen Knochen nach langer Zeit wieder zum Vorschein, geben sie Aufschluss über das Leben früher. Davon berichtet der elfte Band der Starnberger Stadtgeschichte mit dem Titel „Gotteshaus und Totenacker“, der den Sensationsfund der ersten Pfarrkirche St. Benedikt aufarbeitet. Das im Auftrag der Stadt soeben herausgegebene und im Buchhandel erhältliche Werk wurde neulich bei einer kleinen Feierstunde vorgestellt. “Damit hat sich der Schleier der Frühgeschichte Starnbergs ein Stück gelüftet“, sagte Bürgermeister Patrick Janik.
Vorbildliche Aufarbeitung
Im Sommer 2007 wurde die ehemalige Pension Eder in der Possenhofener Straße 3 abgerissen. Als die Bagger die Baugrube für ein neues Wohnhaus ausheben wollten, stießen sie völlig überraschend auf viele Jahrhunderte alte menschliche Skelette und historische Mauerreste. Daraufhin entbrannte in der Stadt eine lebhafte Diskussion über die Möglichkeit, den Neubau zu verhindern und das Gelände als eines der ältesten Zeugnisse der Stadtgeschichte zu retten. „Das hat Vorbildcharakter“, würdigte Professor Mathias Pfeil, der Leiter des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, den Umgang der Stadt mit dem historischen Fund. „Ein sehr feiner Umgang mit den Relikten.“ Die Kommune, damals noch unter der Ägide von Bürgermeister Ferdinand Pfaffinger, beschloss das Grundstück im Tausch zu erwerben, den Friedhof mit über 350 Gräbern vollständig zu untersuchen und aufgrund der geographischen Nähe zum Museum eine Ausstellung zu initiieren.
Pest
Die Gebeine lassen häufig Rückschlüsse zu, woran die Menschen starben und unter welchen Krankheiten sie litten. „Es lässt einen erschauern, wie sie leiden mussten“, meinte Archäologe und Hauptautor Dr. Christian Later zu den Befunden wie Karzinomen, Knochenbrüchen, Hieb- und Stichverletzungen, chronischen Entzündungen, Syphilis und schlimmen Zahngeschichten. Wer als Greis mit über 60 Jahren starb, hatte meistens keinen einzigen Zahn mehr im Mund. Erschüttert zeigte er sich über das Schicksal einer Familie, die drei ihrer Kinder gleichzeitig an die Pest verlor.
Die Veröffentlichung des bereits für 2015 angekündigten Werks ließ lange auf sich warten. „In der Zeit habe ich promoviert, geheiratet, und meine Kinder eingeschult“, machte sich Later ein Späßchen, der die Grabung und wissenschaftliche Aufarbeitung 13 Jahre lang begleitet hat und für den nun „ein ganzer Lebensabschnitt endet“. Die Anfänge des Gotteshauses lassen sich dank der Grabungsergebnisse bis in das 7. Jahrhundert zurückverfolgen, als es wohl als Privatkirche einer Adeligenfamilie, später als Gemeindekirche genutzt, 1764 abgebrochen wurde.
1961 alles zerstört
So sensibel wie heute war man in den 1960-er Jahren übrigens nicht mit den zu Tage geförderten Gebeinen umgegangen. Wie im Buch gut nachzulesen ist, wurde bei der Errichtung des Wohnblocks in der Possenhofener Straße 1 im Jahr 1961 die nördliche Hälfte des Kirchhofs unwiderbringlich zerstört. Es heißt: „Nach Augenzeugenberichten wurden damals mit dem Aushub viele menschliche Skelettreste abtransportiert.“ Ob man von den Relikten nichts bemerkt hat oder bemerken wollte, ist bis heute offen. Jedenfalls erging damals – im Unterschied zu 2007 – nicht einmal eine Fundmeldung an das Denkmalamt.
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