Schluss mit der Bauwut
Autor Daniel Fuhrhop fordert neue Wohnmodelle
Der Siedlungsdruck wächst und wächst, gerade in München und dem Umland. Die einen suchen händeringend eine Wohnung – andere stört es, dass immer mehr Flächen zubetoniert und versiegelt werden. Langsam setzt die Erkenntnis ein, dass all die Einfamilienhäuser und Doppelhaushälften viel zu viel Fläche fressen. Trotzdem stecken alternative Wohnmodelle im Landkreis Starnberg noch in den Kinderschuhen: Tutzing und Höhenrain denken über Genossenschaftsbau nach, in Wörthsee haben Architekturstudenten neue Formen des Zusammenlebens vorgestellt.
Daniel Fuhrhop aber geht noch einen Schritt weiter. „Verbietet das Bauen!“ heißt sein Vortrag mit dem Untertitel „Müssen wir das Bauen neu denken?“. Klar, der Autor von mehreren Büchern über das Wohnen provoziert gern mit markigen Sprüchen. Weil er seine Thesen aber ganz ohne missionarischen Eifer, sondern bemerkenswert leichtfüßig präsentiert, fielen seine Denkanstöße bei den 60 Zuhörern im Landratsamt auf fruchtbaren Boden. Fuhrhop glaubt: „Wir bauen immer mehr, und es wird trotzdem nicht reichen.“ Das belegt er eindrucksvoll mit Zahlen: Von 1993 bis 2018 sei die Zahl der Einwohner in Deutschland um zwei Millionen gestiegen, die Zahl der neuen Wohnungen jedoch um sieben Millionen. „Und trotzdem herrscht Wohnungsmangel."
Wir bauen und bauen, trotzdem reicht es nicht
Offensichtlich werde am Bedarf vorbei gebaut und die Menschen hätten sich an immer größere und komfortablere Wohnflächen gewöhnt. Vor allem wendet sich Fuhrhop gegen die gesichtslosen Gewerbeparks und die aus dem Boden gestampften Neubausiedlungen, wo auf einen Schlag Wohnungen für 30.000 Menschen entstünden. In Schieflage sei aber auch anderes in Deutschland. Die Zuhörer pflichten ihm zu, wenn er fragt, wie es sein könne, dass in Boom-Regionen wie München das Wachstum mit Wirtschaftsförderung immer weiter und weiter angekurbelt werde - während die Politik nichts für strukturschwache Gebiete tue, wo haufenweise leere Wohnungen zu finden sind. Alternativen zum Neubau seien nicht einfach zu finden, gibt er zu. Doch der Fachautor ist um Antworten nicht verlegen. Für ihn liege die Lösung darin, Vorhandenes besser zu nutzen. Das könne so aussehen: Altbauten mit ihren günstigen Mieten lieber besser in Schuss halten als neue Sozialwohnungen zu bauen oder Leerstände bekämpfen, indem man die Eigentümer beratend an die Hand, beziehungsweise in die Pflicht, nimmt.
Vorhandenes besser nutzen
„Wir bauen immer mehr und in den Häusern werden es immer weniger Menschen.“ Fuhrhop ruft dazu auf, den „versteckten Wohnraum“ zu nutzen, der für ihn enormes Potential hat. Dazu legt er Zahlen für den Landkreis Starnberg vor. Es gibt 7.000 Alleinstehende, die auf mehr als 80 Quadratmetern wohnen, und weitere 7.000 Paare auf mehr als 120 Quadratmetern. Von diesen 14.000 sind etliche dabei, die nicht freiwillig so überdimensioniert leben, ist er sich sicher, etwa weil der Partner gestorben ist oder die Kinder ausgezogen sind. „Da ließe sich einiges mobilisieren, ohne etwas Neues zu bauen.“ Zum Beispiel: wer nicht weiß, ob er wirklich auf das Zimmer verzichten kann, sollte es leeren und probeweise drei Monate zusperren. Teile des Hauses könnten zu einer Einliegerwohnung umgebaut oder untervermietet werden. „Wohnen für Hilfe“ ist ein Modell, bei dem Studenten keine Miete zahlen, aber Senioren im Haushalt helfen. Wer sich verkleinern will, könnte eine Prämie oder Umzugshilfe als Anreiz erhalten. In Tübingen läuft gerade ein Modellprojekt mit einer Wohnraumagentur, die ältere Leute berät. Es gibt also allerhand Ansätze. „Wenn wir in die vorhandenen Häuser mehr Menschen reinbekommen, macht der Bäcker nicht zu und tut das der ganzen Stadt gut“, schließt der Referent seinen Vortrag.
Diskussion über Missstände
In der Diskussion melden sich die Leute erst zögerlich, dann immer couragierter. Ein Unding sei es, wenn die Stadt München wie in der Neubausiedlung Freiham nicht nur an Genossenschaften, sondern auch an gewinnorientierte Investoren verkaufe. Erika Schalper ärgert sich darüber, dass der Wohnraumbedarf in den Kommunen künstlich hochgerechnet wird. Ein Vertreter der „Tiny-House“-Bewegung weist darauf hin, dass die Mini-Häuser sogar noch beim Nachbar in den Garten passen. Andere fordern, dass die Kommunen kein Bauland mehr ausweisen und beim Neubau von Kindergärten wenigstens gleich günstige Personalwohnungen mitplanen sollten.
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