Wenn Pfarrer Jall trotz Corona ins Wohnzimmer kommt
Youtube-Gottesdienste der Kirchen ernten viel Lob
Die „Schockstarre“, als es hieß, alle Gottesdienste würden wegen der Infektionsgefahr abgesagt, habe auch ihn mit voller Wucht erwischt, sagt der katholische Stadtpfarrer Dr. Andreas Jall offen. Doch gelähmt, das hat sie ihn nicht: Noch am gleichen Tag hätten sein Team und er beschlossen, die Gottesdienste zu filmen und ins Netz zu stellen. „Das war für uns absolut neu, aber wir mussten was tun.“ Jall muss lachen, als er am Telefon über die holprigen ersten Versuche erzählt. „Sie glauben nicht, wie lang wir geprobt haben, es dauerte fünf Tage, bis die Ästhetik stimmte.“
Kirchenmusiker wird Kameramann
Ihre größte Sorge sei gewesen, dass es „zu selbstgemacht“ aussehe und von den Gläubigen nicht angenommen würde. Anfangs habe der Kirchenmusiker den Pfarrer mit seinem Handy gefilmt, jetzt hoffen sie auf „Aufrüstung“ mithilfe einer früheren Ministrantin, die in der Filmbranche arbeitet. Erst wollten sie die Gottesdienste in den verschiedenen Kirchen der Pfarrei aufnehmen. Aber schon die Probe im weitläufigen Kirchenschiff von St. Maria zeigte: „Der Widerhall ist viel zu groß, man konnte nichts verstehen.“ Also zogen sie in die Unterkirche um, wo die Holzdecke den Schall schluckt. Und sie ließen sich nach dem Vorbild eines italienischen Amtskollegen etwas einfallen, um die leeren Bankreihen mit Leben zu füllen: Sie riefen dazu auf, Selfies zu schicken. Die druckten sie aus und befestigten sie an den Lehnen. „Schon 80 Gläubige haben uns ihre Bilder geschickt und jeden Tag kommen neue herein.“
Es gibt viele Leute, die in diesen Tagen bei ihrem Stadtpfarrer anrufen. Jall schmerzt es, so oft „Nein“ sagen zu müssen. Keine Taufen zurzeit, die Kommunion erst im Oktober. Manchmal aber kann er sich helfen. Wenn die Segnung der Palmbuschen dann eben auf Youtube stattfindet. Oder er die Gläubigen miteinbezieht, indem sie Kerzen vor dem Bildschirm anzünden. Jall sieht die Kirche in der Coronakrise in der Pflicht. „Wir haben den Auftrag, bei den Menschen zu bleiben und wenn die Welt digital ist, müssen wir mitlernen.“ Die Online-Gottesdienste würden die persönliche Begegnung zwar nicht ersetzen. „Aber sie helfen“, sagt der Stadtpfarrer. „Ein gemeinsamer Weg findet statt.“
Auch Ältere schauen den Kanal
Dass das Angebot ankommt, verraten nicht nur die Klicks bei den Filmen. Es gebe viele positive Rückmeldungen von Menschen, die sich mit ihren Ängsten und Sorgen nicht allein gelassen fühlen. Worüber Jall sich besonders freut, ist, dass die digitale Kirche nicht nur die technik-affinen Jüngeren erreicht. „Eine Auswertung hat gezeigt, dass 35 Prozent unserer Zuschauer 65 Jahre und älter sind.“
Der Youtube-Kanal der Pfarreiengemeinschaft Starnberg ist unter der Homepage www.katholisch-in-starnberg.de ganz leicht zu finden. Auch Pfarrer Dr. Stefan Koch von der evangelischen Kirchengemeinde ist unter https://evangelisch-starnberg.de/ mit den Gottesdiensten ins Netz ausgewichen.
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